Anna Fensel – InformatikerIn der Woche

Anna Fensel leitet die Forschungsgruppe Semantic Execution Environment an der Universität Innsbruck. Sie beschäftigt sich mit Semantic Web-Technologien, Linked Data und Internet of Things. Die Forschungsergebnisse finden in vielen Bereichen Anwendung, unter anderem in Smart Homes, Tourismusmarketing oder eCommerce.

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Woran arbeiten Sie zur Zeit?

Meine Forschung steht unter dem Motto „Kommunikationssysteme sinnvoll machen“. Ich arbeite an Design und Umsetzung von semantischen Strukturen und Wissensmechanismen, die Kommunikationsoptionen verbessern und etwa auch dazu beitragen, Beteiligung zu erhöhen, wenn sie in intelligenten Systemen eingesetzt werden. Smarte Datenverarbeitung und neue Entwicklungen im Zusammenspiel von Kommunikationstechnologie und Internet der Dinge spielen dabei auch eine Rolle. Die daraus entstehenden Lösungen werden meist zur Verbesserung oder Automatisierung von Marketing- oder User Engagement-Prozessen eingesetzt. Mit intelligenten pervasiven Umgebungen, also etwa mit Smart Homes, können wir so Gewohnheiten beim Energieverbrauch verstehen lernen und sie in Richtung eines effizienteren Umgangs zu verändern versuchen.

Im Rahmen des Horizon 2020-Projekts ENTROPY arbeiten wir gerade an so einem Beispiel. Wir entwickeln dabei die Wissensstrukturen und die User Engagement Mechanismen mit. Auch das Tourismus-Marketing bietet ausgezeichnete Anwendungsfälle. Ein Beispiel ist das aktuelle FFG-Projekt TourPack, das ich koordiniere und in dem wir zusammen mit drei Unternehmen an einer Lösung arbeiten, um touristische Angebote dynamisch zu bündeln und in einer skalierbaren Multi-Channel-Umgebung (also auch verschiedenen Social Media-Plattformen und auf mobilen Kanälen) effizient auszuliefern.

Vergangenes Semester habe ich auch die Entwicklung eines neuen Kurses „Online Communication and Marketing“ geleitet, den wir seit Herbst 2015 jährlich an der Universität Innsbruck im Rahmen des Bachelorstudiums Wirtschaft, Gesundheits- und Sporttourismus in Landeck anbieten.

Mit meiner Forschungsgruppe bin ich auch Teil des EU-Projekts BYTE. Elf Partner aus zehn Ländern erforschen dabei den gesellschaftlichen Einfluss von Big Data, um Innovationskraft und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas bei Big Data voranzutreiben. Jetzt gerade leiten wir die Entwicklung der BYTE-Forschungs-Roadmap für Europa. Das, zusammen mit einer Policy Roadmap und der Schaffung einer interdisziplinären Big Data Community, wird eines der wichtigsten Ergebnisse des Projekts sein.

Heuer bin ich auch Mitglied des Organisationskommittees von TourismFastForward, einer führenden Konferenz für Technologie im Tourismus, die am 28. und 29.4. in Mayrhofen im Zillertal stattfinden wird.

Und schließlich bin ich Research and Innovation Chair der SEMANTiCS (12th International Conference on Semantic Sytems), einer gut etablierten Konferenz, die Industrie und Forschung zusammenbringt. Letztes Jahr in Wien waren 280 TeilnehmerInnen bei der Konferenz, heuer findet sie von 12. bis 15. September in Leipzig statt.

Was ist für Sie Informatik?

Informatik hat ihre Wurzeln in Mathematik, ist aber ein selbständiges Forschungsfeld, das Automatisierung und Kommunikation auf eine neue Ebene bringt. Informatik ist interdisziplinär – für WissenschafterInnen oder SpezialistInnen ist es als geradezu ein Muss, auch in anderen Gebieten Expertise zu sammeln und/oder mit ExpertInnen aus anderen Gebieten zusammenzuarbeiten.

Was sind für Sie Herausforderungen der Gegenwart, bei denen Informatik helfen kann?

Die entwickelte Welt ist von einer Produktions- zu einer Dienstleistungsgesellschaft geworden, und die meisten Dienstleistungen werden auf die eine oder andere Art durch Technologie unterstützt. Informatik ist deshalb buchstäblich allgegenwärtig. Allein die Semantik etwa ist mittlerweile schon in dutzenden Gebieten gut verankert.

Informatik spielt überall dort eine Schlüsselrolle, wo es um Wachstum geht – Skalierbarkeit ist eine wichtige Erfolgsvoraussetzung in einer High Tech-Dienstleistungs-Wirtschaft. Das zeigen die schnelle Entwicklung des Internet, des Web 2.0 und verwandter Technologien in den vergangenen Jahrzehnten sehr deutlich. Das Zuwachstempo bei Reichweite und Nutzung ist heute die Antwort auf die “Sein oder nicht Sein”-Frage vieler neuer IT- oder IT-gestützter Dienste. Oder, wie Medienmenschen sagen: „if it doesn’t spread, it’s dead“.

Was haben Sie in der Auseinandersetzung mit Informatik gelernt?

2006 war ich eine der ersten ForscherInnen weltweit, die eine Dissertation über das Semantische Web fertiggestellt hat. Zu dieser Zeit haben wir definiert, wie semantische Informationssysteme der Zukunft aussehen, indem wir maschinenlesbare Kommunikationsstrukturen, Social Networks und Community-Funktionen designt haben. In meiner Post-Doc-Zeit habe ich dieses Wissen einige Jahre in der Industrie angewandt. Mittlerweile ist die Vision der Semantic-Web-Forschung Wirklichkeit geworden. Große Unternehmen setzen semantische Technologien in der Praxis ein – etwa als Linked Data oder Open Knowledge Graph. Das ist sehr aufregend.

Warum sollten sich StudentInnen für Informatik entscheiden?

Zur Zeit gehen mehr und mehr Jobs durch den Einsatz von Technologie verloren. Wenn also ein Job mit Technologie zu tun hat, dann stehen die Chancen gut, dass dieser Job als letzter verloren geht – wenn überhaupt 🙂

Ernsthafter betrachtet: Informatik-AbsolventInnen können in einer Reihe von Branchen und Jobs unserer gegenwärtigen Dienstleistungs-Ökonomie arbeiten und sind daher auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt.

Für StudentInnen mit einem Talent in Mathematik ist Informatik einfach. Auf der anderen Seite ist natürlich auch das Interesse am Gegenstand wichtig. Ich würde SchülerInnen empfehlen, einfach auszuprobieren, ob das etwas für sie ist und ob es sie interessiert.

Was fehlt der Informatik in Österreich?

Es fehlen eine engere Verbindung der Forschungsgegenstände zu den Bedürfnissen der lokalen Wirtschaft und eine klare Konzentration auf jene Bereiche, in denen Österreich realistisch und nachhaltig eine Rolle in der Welt spielen kann. Wir leben alle gern in einer reichen gut entwickelten High-Tech-Wirtschaft, aber derzeit kann die Informatik dazu noch nicht viel beitragen. Eine Kultur für Start-Ups und große Investments, Anerkennung von und Ermutigung zu angewandter interdisziplinärer Forschung, klare Karrierewege innerhalb und außerhalb der Universitäten – all das existiert kaum, damit wird das Potenzial, die Wirtschaft anzutreiben, wenig genutzt.

Was auch noch hinterherhinkt, ist die Gender Balance unter Informatik-StudentInnen. Zu meiner Studienzeit vor fünfzehn Jahren in Russland war das Geschlechterverhältnis der Informatik-StudentInnen nahezu ausgeglichen, in Österreich kommt heute noch oft nur eine Studentin auf eine Gruppe von 20 oder 25 Studenten. Informatik muss wachsen, und wir können es uns nicht leisten, die Hälfte der potenziellen ExpertInnen schon am Beginn der Ausbildung zu verlieren.