Damit wir uns in der digitalen Welt selbstbestimmt und kritisch bewegen können, müssen Schulen grundlegende Prinzipien der Informatik vermitteln. Computerwissenschaften müssen daher Deutsch oder Mathematik gleichgestellt werden
In seinem Gastkommentar fordert Roderick Bloem, Professor für Informatik an der TU Graz und Vorsitzender von Informatik Austria, die Einführung eines Pflichtfachs Informatik an Schulen. Schülerinnen und Schülern sollte über die digitale Bildung hinausgehendes Wissen über Technologie vermittelt werden.
„Dieses Fach habe ich nach der Schule nie mehr gebraucht!“ Wer hat diesen Satz nicht schon einmal gehört? Der Geisteswissenschafter hinterfragt den Nutzen von Mathematik, die Technikerin sieht wenig Sinn in Geschichte. Doch statt die Relevanz einzelner Fächer infrage zu stellen, sollten wir uns fragen, welche Grundlagen wirklich essenziell sind, um die komplexe Welt von heute zu verstehen.
Die allgemeinbildenden Schulen stellen sicher, dass Menschen verstehen, wie unsere Gesellschaft funktioniert – welche Werte ihr zugrunde liegen, wie unsere Wirtschaft arbeitet und auf welchen Prinzipien unsere Technologien basieren. Ist es dafür notwendig, über die Schlacht von Königgrätz Bescheid zu wissen, das Gesetz von Angebot und Nachfrage zu kennen oder die Newton’schen Gesetze anwenden zu können?
Ja, das ist es! Jede Person sollte die grundlegenden Zusammenhänge verstehen. Auch wenn nicht alle Details im Alltag relevant scheinen, sind sie entscheidend, um die Funktionsweise unserer Welt zu begreifen – und nur so können wir als mündige Gesellschaft unsere Demokratie aktiv mitgestalten.
Digitale Revolution
Die Welt verändert sich rasant, und mit ihr auch die Anforderungen an mündige Bürgerinnen und Bürger. In der Zeit der Wiener Moderne begann ein Aufbruch, der die Gesellschaft zu einer Anpassung an die sich wandelnde Welt aufrief. Die wissenschaftliche und industrielle Revolution machte Kulturtechniken wie Mathematik, Physik und Chemie unverzichtbar. Österreich führte das Realgymnasium ein, weil klar wurde, dass die Grundlagen dieser Fächer Teil der Allgemeinbildung sein sollten. Daher unterrichten die Schulen nicht die konkrete Anwendung von Physik oder Chemie, wie etwa in Kraftmotoren, sondern die zugrundeliegenden Naturgesetze und deren mathematische Prinzipien.
Heute verändert sich die Welt noch schneller. Wir befinden uns mitten in einer digitalen Revolution. Alle haben einen Computer – das Smartphone – in der Tasche. Wir kommunizieren, informieren und vernetzen uns digital. Doch diese Technologien bringen nicht nur Vorteile: Die Systeme für elektronisches Bezahlen, Videotelefonie oder die Speicherung unserer Bilder stammen oft aus dem Ausland. Damit gehen Risiken einher, wie die Beeinflussung der Demokratie, Datenleaks und zunehmende Unsicherheit.
Besseres Verständnis
Heute ist Informatik eine grundlegende Kulturtechnik, und die Schule muss sich einer sich schnell verändernden Welt anpassen. Um die Welt um sich herum zu verstehen, brauchen alle Österreicherinnen und Österreicher ein fundiertes Verständnis der Computerwissenschaften. Auch hier müssen wir grundlegende Konzepte vermitteln: algorithmisches Denken, Abstraktion, Programmierung und Problemanalyse. Genauso wie die Grundlagen der Physik und Chemie und ein Grundverständnis von Geschichte und Kultur ist heute ein Verständnis der Prinzipien notwendig, die unsere digitale Welt prägen. Dieses Wissen vermittelt das Fach Informatik.
Wie der Rat für Forschung, Wissenschaft, Innovation und Technologieentwicklung empfiehlt, sollte Informatik heute ein Pflichtfach in der Schule sein – im gleichen Ausmaß wie Mathematik. Es ist entscheidend, zwischen Informatik und digitaler Bildung zu unterscheiden. Digitale Bildung vermittelt bereits in der Unterstufe Medienkompetenz und einen ethischen Umgang mit Technik. Das ist wichtig, reicht aber nicht aus. Sie muss durch Informatik ergänzt werden, um auch die grundlegenden Konzepte zu vermitteln.
Viele Vorteile
Ein Pflichtfach Informatik bietet entscheidende Vorteile:
- Nur so erfüllt das österreichische Schulsystem seinen Auftrag zur Allgemeinbildung: Jede Österreicherin und jeder Österreicher muss ein grundlegendes Verständnis der Informatik haben.
- Es eröffnet den Absolventinnen und Absolventen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft und hilft, den Fachkräftemangel in unserer Wirtschaft zu lindern.
- Es bringt Kinder mit zukunftsweisenden Themen in Kontakt und ermöglicht eine informierte Berufswahl. Besonders für Mädchen ist dies wichtig, Erfahrungen aus Deutschland und dem Vereinigten Königreich zeigen, dass viel mehr junge Frauen sich dann für Informatik entscheiden, wenn sie damit in der Schule in einem eigenständigen Fach in Berührung kommen.
- Es stärkt Österreich und Europa, eine selbstbestimmte digitale Politik zu verfolgen und unsere digitale Zukunft aktiv zu gestalten, inklusive eines kritischen Umgangs mit Algorithmen, eines Sinns für Datenschutz und der Fähigkeiten, Fake News zu erkennen und zu bekämpfen.
- Informatik macht Spaß! Programmieren oder geheimer Datenaustausch sind Beispiele von spannenden und anschaulichen Themen, die im täglichen Leben außerdem relevant sind.
Zu wenig Personal
In Österreich gibt es bereits hervorragende, begeisterte und gut ausgebildete Informatiklehrerinnen und -lehrer, nur leider zu wenige. Diese Herausforderung sollten wir auch annehmen. Um mehr Studierende davon zu überzeugen, Informatik auf Lehramt zu studieren, braucht es vor allem eines: ein Pflichtfach Informatik, in dem man auch maturieren kann.
Die Schule ist in unserer Wissensökonomie wichtiger denn je. Doch sie sollte sich ständig an die Veränderungen der Welt anpassen. Wie etwa eine Studie des deutschen Stifterverbands 2022 zeigte, fördert ein Pflichtfach Informatik bei Schülerinnen und Schülern die Motivation, sich weiterzubilden, vermittelt ihnen ein fundamentales Verständnis für eine entscheidende Technologie und sorgt außerdem für viel Spaß im Schulalltag. Die kommende Regierung sei aufgerufen, diesen Schritt sofort zu setzen und damit Österreich als Vorreiter in der digitalen Welt zu etablieren! (Roderick Bloem, 31.1.2025)
Presseaussendung: