Informatik Austria setzt sich für eine Verbesserung des Informatik-Unterrichts an den Schulen ein. Dazu gehört für uns vor allem auch die Einführung eines Pflichtfachs Informatik an allen Schulen. Damit muss natürlich auch eine Verbesserung der Ausbildung von Informatik-LehrerInnen einhergehen.
Im neuen Regierungsprogramm ist viel von Digitalisierung die Rede, unter anderem soll Österreich eine der führenden Digitalnationen der EU werden. In Hinblick auf Informatik-Ausbildung an den Schulen wird man allerdings enttäuscht.
Nach dem Gastkommentar von Roderick Bloem in der Presse hat nun Gerald Steinhardt als Vorsitzender von Informatik Austria einen offenen Brief an die Zuständigen der neuen Regierung geschrieben.
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OFFENER BRIEF
Forderung der österreichischen Informatik-Fakultäten nach Einführung des Pflichtfaches
Informatik vom Beginn der Unterstufe bis zur Matura.
OFFENER BRIEF von Informatik Austria
an Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Mag. Werner Kogler, Bildungsminister Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann und Wirtschaftsministerin Dr. Margarete Schramböck.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Kurz!
Sehr geehrter Herr Vizekanzler Kogler!
Sehr geehrter Herr Bildungsminister Faßmann!
Sehr geehrte Frau Wirtschaftsministerin Schramböck!
Der Begriff „Informatik“ kommt im nun vorliegenden Regierungsprogramm nicht vor. „IT“ spielt darin vorwiegend dann eine Rolle, wenn es um Synergie- und Effizienzpotenziale in der Verwaltung geht. Dafür liest man sehr oft: Digitalisierung müsse vorangetrieben werden. Offen bleibt allerdings, wer das machen soll. Denn Österreich kümmert sich nicht ausreichend um die dringend erforderlichen Informatik-Kenntnisse der Heranwachsenden. Die dafür notwendige Einführung eines Pflichtfachs Informatik für alle an den Schulen sucht man auch in diesem Regierungsprogramm vergeblich.
Das ist ein Problem.
Informatik Austria, der Zusammenschluss der österreichischen Informatik-Fakultäten, fordert die neue Bundesregierung auf, möglichst rasch Informatik als Pflichtfach in allen Klassen der Unter- und Oberstufen der Gymnasien und der Neuen Mittelschulen einzuführen.
Die 1985 eingeführte Regelung, nach welcher der Informatik nur in der 5. AHS-Klasse eine Unterrichtstunde gewidmet wird, ist veraltet.
Die digitale Transformation durchdringt heute zunehmend alle Bereiche. Informatik als Wissenschaft der digitalen Technologien hat schon lange den Status einer Grundlagenwissenschaft, auf deren Techniken, Erkenntnissen und Methoden viele andere Disziplinen aufbauen. Der Umgang mit großen Datenmengen, Archivierungsmöglichkeiten, Mustererkennung – das sind nur einige Beispiele, wie Methoden der Informatik in vielen verschiedenen Bereichen Nutzen stiften.
In den Schulen merkt man nichts davon. Informatik führt das Dasein eines Orchideenfachs. Religion hat mehr Gewicht im Stundenplan. SchülerInnen werden kaum fachliche Kompetenzen in Informatik vermittelt, sie erfahren auch wenig über den eigentlichen Stellenwert dieser Grundlagenwissenschaft.
Dabei ist Informationstechnologie seit Jahren die Branche, die den größten Zuwachs an Arbeitsplätzen verzeichnet, und es ist auch jene Branche, in der der Mangel an Spezialisten besonders deutlich spürbar ist. In Österreich haben 61% Prozent der Unternehmen freie Stellen für IT-Fachleute (2016; Quelle: Eurostat). In Deutschland hat sich die Zahl der gesuchten IT-SpezialistInnen im vergangenen Jahr auf 124.000 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (Quelle: Bitkom).
Statt diese Chancen zu nutzen, schafft die Vernachlässigung von Informatik neue Abhängigkeiten: Große Innovationen geschehen in den USA, in China, vielleicht noch in Indien – Europa dagegen ruht sich auf dem digitalen Abstellgleis aus.
Dem müssen wir in den Schulen entgegensteuern. Die Ausstattung mit Tablets und anderen Endgeräten und medienpädagogisches Knowhow zur sicheren Nutzung digitaler Kommunikationsmittel lösen das Problem nicht. Umgekehrt ist es auch nicht notwendig, Kinder flächendeckend von klein auf in Programmiersprachen zu schulen. Sinnvoller Informatikunterricht lehrt Logik, algorithmisches Denken, Modellierung und Abstraktion sowie Problemlösungskompetenz.
Die rasche Einführung des Pflichtfaches Informatik vom Beginn der Unterstufe bis zur Matura ist wichtig
- um jungen Menschen Freude am Fach Informatik zu vermitteln und sie damit für eine einschlägige Lehre oder ein Studium an einer FH oder Universität zu interessieren (und damit auch dem Fachkräftemangel im IT-Bereich gegenzusteuern);
- um gerade Mädchen bereits in einem frühen Alter für Informatik zu begeistern, da wir sie ansonsten für die Technik verlieren;
- um Heranwachsende von passiven KonsumentInnen zu aktiven, kreativen GestalterInnen der digitalen Welt zu machen;
- um die Arbeitsmarktfähigkeit der Heranwachsenden zu sichern;
- um die Konkurrenzfähigkeit der heimischen Betriebe sicherzustellen;
- um den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Österreich nachhaltig zu sichern.
Von entscheidender Bedeutung dabei ist, dass alle Lehrerinnen und Lehrer, welche Informatik unterrichten, kompetent in INFORMATIK ausgebildet sind. Denn nur LehrerInnen, die selbst ein ausreichendes Verständnis von Informatik haben, sind in der Lage, die entsprechenden Kenntnisse auf aktuellstem Stand zu vermitteln und SchülerInnen für das Fach zu begeistern. Es bedarf daher begleitend zur Verankerung des Pflichtfaches Informatik ab dem Beginn der Unterstufe einer Ausbildungsoffensive für kompetent ausgebildete InformatiklehrerInnen.
Bei der Forderung nach Einführung des Pflichtfaches Informatik ab dem Beginn der Unterstufe geht es nicht um die Vermittlung von Mediennutzungskompetenz und „digitale Grundbildung“ – diese Aspekte sind in der Schule ohnehin bereits gut verankert.
Ziel ist vielmehr die schulische Vermittlung von Informatik-Kenntnissen zur Herausbildung einer aktiven Problemlöse- und Gestaltungskompetenz; und da gibt es in Österreich einen immensen Nachholbedarf.
Mit Informatik als Pflichtfach lernen SchülerInnen, wie sie die Wissens- und Informationsgesellschaft mitgestalten können, statt nur passiv zu reagieren. Und das ist eine wichtige Grundlage für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Österreich.
Dem nun vorliegenden Regierungsprogramm entnehme ich, dass Sie Österreich zu einer der führenden Digitalnationen der EU machen möchten. Die Einführung des Pflichtfachs „Informatik“ in allen Klassen der Unter- und Oberstufen der Gymnasien und der Neuen Mittelschulen ist ein entscheidender Schritt, den Sie dazu setzen können. Verpflichtender Informatikunterricht für alle stellt eine der wichtigsten bildungspolitischen Weichenstellungen dar, die eine Regierung gegenwärtig treffen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Gerald Steinhardt, TU Wien
Vorsitzender von Informatik Austria
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